Seit mehr als 20 Jahren ist Gregor Sommer nun Bürgermeister in Wehrheim. Anlässlich seines Dienstjubiläums führte Thomas Kopp mit dem Christdemokraten ein Interview - mit dem Blick zurück, aber auch nach vorn.

Herr Sommer, bitte erinnern Sie sich an Ihren ersten Wahlkampf vor über 20 Jahren zurück. Was fällt Ihnen als erstes ein?

Ich war ja noch relativ jung und hatte vor allem eine junge Familie. Alle waren mit eingebunden, das war natürlich aufregend für die ganze Familie. Auch die Eltern, Verwandte und Freunde haben mitgeholfen. Es war ein Riesenschritt damals vom Job in einer Notariatskanzlei in den Wahlkampf zu gehen und mit den Bürgern zu reden. Die kirchliche Seite hatte damals noch große Bedeutung. Ich kam ja aus dem katholischen Pfaffenwiesbach und wusste nicht, ob mich das evangelische Wehrheim wählen würde.

Wer hat Sie auf die Idee gebracht zu kandidieren?

Das war eigentlich eine Entscheidung, die von der Familie kam, aber auch nach Gesprächen mit Helmut Michel und aus der Politik. Ich war ja damals schon ehrenamtlich in der Politik tätig. Mein Traum war es aber schon immer, Bürgermeister zu werden, den hatte ich schon als Kind in der Schule. Doch es gab Risiken: Was passiert, wenn man nicht gewählt wird? Kann man in den alten Job zurück? Und selbst, wenn man gewählt wird, bei der nächsten Wahl aber nicht mehr - Wie geht es dann weiter? Das war schon ein großer Schritt damals. Wir hatten ja gerade gebaut und mussten all das abwägen. Es ist ja nun auch nicht so, dass man als Bürgermeister mit Reichtümern nach Hause geht. Es geht uns gut, das will ich gar nicht abstreiten. Aber es war immer eine Einschränkung für die Familie und für meine Ehefrau Claudia, die seit Geburt der Kinder zu Hause geblieben ist und eigentlich gerne wieder mehr gearbeitet hätte. Das war nicht mehr möglich, weil einen der Beruf als Bürgermeister rund um die Uhr und auch an den Wochenenden fordert. Sie hat auf ihre eigene Entwicklung und Karriere verzichten müssen.

Wen würden Sie als Ihre Vorbilder ansehen?

Da gibt es verschiedene. Mein Vater mit seiner Korrektheit, Gradlinigkeit und seinem Optimismus. Das Menschliche aber habe ich von Helmut Michel, dem es immer schwer fiel, »Nein« zu sagen. Das fällt mit auch schwer. Die Fröhlichkeit habe ich von meiner leider viel zu früh verstorbenen Mutter, Fastnacht, lustig sein, singen, Veranstaltungen. Einen politischen Mentor zu nennen, ist schwierig. Aber es war schon so, dass der gewaltige Helmut Kohl in seiner ganzen Fülle (lacht) für junge Menschen etwas Besonderes darstellte. Ich war bei Wahlkämpfen, da waren schon Begeisterung und Euphorie da. Auch Bernhard Vogel hat mir immer imponiert. Er hat das immer gut mit der Fastnacht kombiniert und war ja auch als Einziger Ministerpräsident in zwei Bundesländern. Er war vor ein paar Jahren auch beim Empfang der CDU Hochtaunus. Er hat mich als Mensch und aufgrund seiner Lebensleistung immer beeindruckt.

Wie hält man sich 20 Jahre an der Spitze der Gemeinde?

Da gibt es kein Patentrezept. Vielleicht ist es eine negative Eigenschaft, dass mir die Tränen kommen, wenn ich eine bewegende Ansprache halten muss. Aber so bin ich halt, ich habe mich nie verstellen müssen. Ich glaube, das macht es aus: authentisch und bürgernah zu bleiben und mit Herz zu entscheiden.

Von 20 Jahren waren 15 ohne absolute Mehrheit der CDU im Parlament. Wie schafft man es da, seine eigenen Vorstellungen durchzuboxen?

Wehrheim hat eine Gemeindegröße, bei der die Sache an erster Stelle steht. Parteipolitik spielt eine Rolle, aber eine untergeordnete. Bis auf wenige Ausnahmen waren es immer die gleichen vier Fraktionen, die im Parlament sitzen. Ich habe nicht für oder gegen eine Fraktion entschieden, sondern in der Sache.

Die Konstellation hat sich aber durch das Dreierbündnis geändert.

Ja, aber die Menschen im Gemeindeparlament bleiben die gleichen, auch wenn einige neue dabei sind. Auch diese werden sehen, dass an der Sache orientierte Politik nur gemeinsam funktionieren kann. In der Gemeinde sollte es möglich sein, dass man miteinander auskommt. Eine vergiftete Atmosphäre hat noch nie was gebracht außer Stillstand und Rückschritt.

Die politischen Gepflogenheiten scheinen sich verändert zu haben. Ist der Ton im Gemeindeparlament rauer geworden?

Ja, das ist er leider, und das betrifft auch den Gemeindevorstand. Persönliche Animositäten sollten aber zurückgestellt werden. Andere wegen ihrer vermeintlich fehlenden Bildung anzugehen, ist fatal. Ich bin ja einer, der es geschafft hat, ohne Abitur und Studium in dieses Amt zu kommen. Deswegen sollte man bitteschön auf den Boden der Tatsachen zurückkommen und allen Menschen Gehör schenken. Wir sollten uns alle selbst nicht so wichtig nehmen.

Was war für Sie die Sternstunde des Parlaments?

Der Beschluss zur Wehrheimer Mitte war sicherlich einer der bewegendsten und entscheidendsten Beschlüsse, die wir gefasst haben. Auch der Waldtausch für das Munitionsdepot war bedeutend. Dafür haben wir fast zehn Jahre gebraucht. Ich kann mich noch erinnern, wie ich den Reisebus mit Vertretern der Bundeswehr wieder nach Hause geschickt habe, nachdem es zuvor geheißen hatte, es findet ein Sechs- oder Acht-Augen-Gespräch statt. Stattdessen kam die Bundeswehr mit 25 Leuten. Aber auch der Bau von Kindertagesstätten oder Sportanlagen. Ganz viele dieser Beschlüsse sind einstimmig gefällt worden. Klappern gehört in der Politik dazu, aber die entscheidenden Dinge sind oftmals im Konsens getroffen worden. Man kann keine Wehrheimer Mitte bauen, wenn eine knappe Entscheidung getroffen wurde, das macht man einfach nicht. Auch wenn dadurch vielleicht noch eine Extra-Runde gedreht werden muss.

Was würden Sie als Ihren persönlich größten Erfolg bewerten?

Die Wehrheimer Mitte. Sie ist ein Treffpunkt geworden und wird auch von außen gewürdigt. Aber ich bin nur ein Puzzleteil bei dieser Entscheidung gewesen.

Gab es auch eine empfindliche Niederlage, die Sie verbuchen mussten?

Ach, es gibt schon menschliche Enttäuschungen. Aber ich bin vom Sternzeichen Zwilling und mache dann einen Haken dran. Ich spreche mit den Leuten dann auch wieder genauso wie vorher. Es nützt ja nichts. Ich muss niemanden heiraten und mit niemandem befreundet sein. Aber die Höflichkeitsformen müssen schon gewahrt sein.

Wen würden Sie als Ihre politischen Freunde bezeichnen, eventuell auch von anderen Parteien?

Da muss man vorsichtig sein. Ich spreche da eher von politischen Weggefährten. Natürlich schätzt man manche seiner Kollegen, mit denen man in der Sache hart streiten, sich aber anschließend noch in die Augen schauen kann. Aber echte Freunde, das ist schon ein sehr, sehr kleiner Kreis. Da gibt es ganz wenige, von denen man sagen kann: Die würden auch für dich durch dick und dünn gehen. Wenn es gut läuft, freuen sich alle mit dir. Wenn aber nicht, dann sind die gar nicht mehr da.

Sind das Lehren, die Sie so auch an Ihre Söhne weitergeben, die sich ja auch politisch engagieren?

Die beiden haben sicherlich zu vielen Dingen eine andere Auffassung. Natürlich gibt man manches weiter. Wir reden und streiten auch oft über Sachen. Meine Frau ist dann die neutrale Schweiz. Sie ist ja auch nicht in der Partei, und ich finde es auch gut, dass es so ist. Aber es ist schon mitunter spannend zu Hause. Die Themen haben sich verändert, und die jungen Leute sehen manches frischer. Aber man muss auch sagen, dass vieles heute unübersichtlicher geworden ist, vor allem weil man nicht weiß, was man in sozialen Medien und im Internet überhaupt noch glauben kann.

Wie viele Wahlperioden hängen Sie noch dran?

Ich habe jetzt noch vier Jahre vor mir, und dann schauen wir mal die weitere Entwicklung ab (lacht). Die Gesundheit spielt dabei eine große Rolle. Ich gehe ja jeden Morgen schwimmen, aber letztlich muss man schauen, wenn es so weit ist. Auch die psychische Belastung spielt eine Rolle. Die Bedrohungen bis hin zu persönlichen Drohungen mit Waffen (Sommer erlebte dies im Jahr 2005, Anm. d. Red.), die man als Bürgermeister erleben muss, sind Punkte, bei denen man überlegt: Willst du das überhaupt? Willst du das deiner Familie antun? Es ist ja nicht mal ein Jahr her, dass ich als »Nazisau« beschimpft wurde. Der eine verarbeitet das besser, andere wie ich nicht so gut. Das geht mir sehr unter die Haut. Das ist eine Entwicklung, die auch durch die sozialen Medien begünstigt wird. Und eine schwere Last, die auf einem ruht.

Welche persönlichen Ziele haben Sie noch für die Gemeinde Wehrheim?

Auf jeden Fall ein Senioren- und Pflegeheim. Das habe ich schon vor zwei Jahren gesagt und sage es weiter. Wir sind in den Besprechungen mit der evangelischen Kirche schon etwas weiter, und ich hoffe, dass wir das auch hinbekommen. Es ist mein erklärtes Ziel, dass wir eine zusätzliche Einrichtung noch in dieser Wahlperiode hinbekommen. Es ist dringend nötig, dass Wehrheimer auch ihren Lebensabend hier verbringen können. Dazu gehört auch eine Tages- oder Kurzzeitpflege für Menschen, die einmal eine Auszeit brauchen. Aber es gibt noch viele weitere Sachen wie kleine Wohngebiete, innerörtliche Verdichtung, bezahlbaren Wohnraum schaffen, Gewerbeansiedlung, aber auch Trinkwasser, Unwetterereignisse, Feuerwehren, die Finanzen und Kinderbetreuung. Und auch wenn ich keinen Einfluss darauf habe: Ich würde mir für die Vereine und vor allem für die Senioren wünschen, dass wenigstens etwas soziales Leben wie vor Corona möglich ist. Es tut einem in der Seele weh, dass dies alles derzeit nicht geht. Aber eines muss man festhalten: Die Wehrheimer stehen zusammen. Ob das beim Storchennest-Bau war oder bei einem Findelkind, das abgelegt wurde, und wo es viel Hilfe gab, oder bei einem abgebrannten Haus, wo die Menschen mit Möbeln und Spenden und Unterkünften geholfen haben. Das ist Zusammenhalt. Und das gibt es nur in einem Dorf. Deswegen muss die dörfliche Struktur auch erhalten bleiben.

Artikel des Usinger Anzeigers vom 29.01.2022

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